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Rede zum Volkstrauertag am 13. November 2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

auch im Namen unserer Stadt begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu unserem traditionellen Gedenken am Volkstrauertag am Krieger-Ehrenmal im Hauckwald.

Mein besonderer Gruß gilt allen Vertreterinnen und Vertreter der Ortsvereine mit ihren Fahnenabordnungen, den Vertretern unserer Feuerwehr, des Reservistenverbandes und des VdK und ich heiße ebenso herzlich willkommen diejenigen, die diese Feierstunde in diesem Jahr musikalisch mitgestalten, namentlich die Kolpingkapelle Alzenau sowie den Gesangverein Frohsinn Alzenau.

Meine geschätzten Damen und Herren,

vor 100 Jahren, im Februar 1916, begann die Schlacht um Verdun, in der über 320.000 Soldaten, darunter 150.000 Deutsche und 170.000 Franzosen starben. Weitere 400.000 deutsche und französische Soldaten wurden verwundet, kamen in Gefangenschaft oder galten als vermisst. Rund ein Jahr dauerte die Schlacht von Verdun, die bis heute als „Sinnbild der Schrecken des modernen Krieges“ gilt.

Nur wenige Wochen zuvor, im November 1916, endete die Schlacht an der Somme, die als eine der längsten und verlustreichsten in der bis dahin überlieferten Weltgeschichte galt. 1,2 Millionen Soldaten, je 500.000 deutsche und britische sowie 200.000 französische Soldaten verloren dabei ihr Leben, erlitten Verwundungen, gerieten in Gefangenschaft oder galten als vermisst. Die Liste der 100-jährigen-Jahrestage des Schreckens, des sinnlosen Sterbens und Mordens ließe sich nahtlos fortsetzen.

Und heute, 100 Jahre später, vom 30. September bis 2. Oktober 2016 feierten Franzosen und Deutsche das 30-jährige Jubiläum ihrer Städtepartnerschaft und damit ihre seit 1986 von unzähligen Akteuren intensiv gelebte und mit beispielhaften Engagement ausgefüllte Freundschaft und das nicht irgendwo, sondern hier bei uns in Alzenau - Freundschaften wie sie überall in unserem Land bestehen. Auch das ist Geschichte - eine Erfolgsgeschichte von Aussöhnung und Versöhnung und zugleich ein Beitrag zum Frieden in Europa sowie das Ergebnis des nach wie vor geltenden Erfolgsmodells „Europäische Union“, an dessen Fortbestand wir alle nicht nur ein nachdrückliches Interesse haben, sondern es im Rahmen unserer Möglichkeiten auch weiter ausfüllen sollten, z. B. durch die Pflege unserer Städtepartnerschaften.

Vor 95 Jahren hielt der Volksbund deutsche Kriegsgräbersorge seine erste Gedenkfeier zum Volkstrauertag ab, der mit seiner Arbeit bis heute einen unschätzbaren Beitrag leistet, u. a. gegen das Vergessen sowie zur Verständigung unter den Völkern. Auch das ist ein Betrag für einen dauerhaften Frieden in Europa.

Wir führen diese Tradition des Gedenkens auch in unserer Stadt fort, die stets ihre Berechtigung behalten wird, gleich wie lange beide Weltkriege zurückliegen, gleich ob die Zahl der Überlebenden und Hinterbliebenen oder die Teilnahme an den Gedenkfeiern weiter abnimmt. Denn Frieden ist und bleibt keine Selbstverständlichkeit. Das gilt gleichermaßen für Freiheit und Sicherheit sowie den Fortbestand unserer demokratischen und rechtsstaatlichen mit den ihr zu Grunde liegenden Werten.

Der hinterhältige Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat im nordafghanischen Masar-i-Sharif vor zwei Tagen lässt auch die Bedrohung unseres Landes ein weiteres Mal offenkundig werden. Und ich danke ausdrücklich allen Soldaten und Polizeibeamten, die sich für uns im Auslandseinsatz befinden, um Frieden zu schaffen und Frieden zu wahren. Mögen Sie alle stets wohlbehalten wieder nach Hause zu ihren Familien zurückkehren.

„Geschichte wiederholt sich nicht. Wohl aber wiederholen sich menschliche Verhaltensweisen - im Guten wie im Bösen“, stellt Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Rede aus Anlass der Gedenkstunde zum Volkstrauertag am 15. November 2015 im Deutschen Bundestag fest.

Wenn wir uns umblicken, stellen wir fest, dass sich offenbar vor allem „das Böse“ wiederholt. Und das bereits nur wenige Flugstunden von uns entfernt, wo es regelmäßig zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt oder die für uns als selbstverständlich geltenden Werte, wie die Achtung der Menschenwürde, die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit, von Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit, mit Füßen getreten oder im Hinblick auf unliebsame vermeintliche Gegner außer Kraft gesetzt werden. Massenverhaftungen und Massenentlassungen werden vorgenommen, Verfolgung und pauschale Verurteilungen sind vielfach an der Tagesordnung.

Umso unverzichtbarer bleibt daher unser Gedenken an die Opfer von Krieg, Terror und Willkür, das uns immer auch an die Werte erinnern möge, die für ein friedliches Zusammenleben unverzichtbar sind und dafür sorgen, dass wir weiterhin in Sicherheit und ohne Angst vor staatlicher Verfolgung, Gewalt und Willkür leben dürfen. Dazu gehören auch gegenseitgier Respekt, Toleranz und Solidarität - Werte, die einst auch bei uns von heute auf morgen keine Geltung mehr hatten. Gerade, wenn wir auch heute wieder an den Holocaust erinnern und seiner Opfer gedenken.

Sechs Millionen Juden in Deutschland und Europa wurden von den Nazi-Schlächtern ermordet, darunter auch jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus unserer Stadt, an die wir erst vor wenigen Tagen erinnert haben, damit sich das Unfassbare niemals mehr wiederholen kann und um ihnen und allen Ermordeten ihre geraubte Würde und Persönlichkeit wieder zurückzugeben. In diesem Zusammenhang bleiben wir auch zur Solidarität mit Israel und jüdischem Leben weltweit aufgerufen, dessen vollständige Auslöschung noch vielfach angestrebt wird.

„Geschichte wiederholt sich nicht. Wohl aber wiederholen sich menschliche Verhaltensweisen - im Guten wie im Bösen.“

Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind auch in unserem Land noch immer verbreitet. Das Maß an öffentlich geäußerten Feindseligkeiten gegenüber Menschen anderer Herkunft und anderen Glaubens, auch gegenüber der sogenannten etablierten Politik, was derzeit vielerorts en vogue zu sein scheint, und die Zunahme an Verrohung von Teilen der Gesellschaft wie sie z. B. auf beschämende Weise auch bei den Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober 2016 zu beobachten waren, ist erschreckend und stimmen sorgenvoll. Hiergegen gilt es aufzustehen und Flagge zu zeigen, auch am heutigen Tag.

Vor 75 Jahren am 22. Juni 1941 begann das Unternehmen Barbarossa und damit der deutsche Feldzug gegen die Sowjetunion mit seinen allein auf sowjetischer Seite 27 Millionen Opfern, 2,7 Millionen deutsche Soldaten fielen oder kamen um in Kriegsgefangenschaft.

Die Zahlen der im 2. Weltkrieg insgesamt Ermordeten und Toten machen nach wie vor fassungslos: 55 Millionen Menschen verloren ihr Leben. Bis heute leiden Menschen unter dieser verheerenden Katastrophe der damaligen Zeit, Kriegsteilnehmer, Angehörige, Vertriebene. An sie und ihr unermessliches Leid wollen wir heute erinnern, aber auch an diejenigen, die heute noch Opfer von Krieg, Terror und Gewalt sind, und an diejenigen, die aus diesem Grund zu uns kommen und bei uns Hilfe und Schutz suchen.

Und wieder gilt die Aussage von Bundespräsident Gauck: „Geschichte wiederholt sich nicht. Wohl aber wiederholen sich menschliche Verhaltensweisen - im Guten wie im Bösen.“ Auf der einen Seite steht das Kapitel des Bösen in Form der Ursachen, die zu Vertreibung und Massenflucht führen. Auf der anderen Seite erleben wir angesichts dessen, gerade auch bei uns vor Ort, und das nicht erst seit diesem Jahr, das Kapitel des Guten in Gestalt von Hilfsbereitschaft und Solidarität.

Ich danke allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern von ganzem Herzen, die sich der bei uns Hilfe und Zuflucht suchenden Kinder, Frauen und Männer annehmen und ihnen auf diese Weise eine Perspektive bieten und mit ihrem Verhalten und ihrer Haltung zugleich das Bild unseres Landes positiv prägen. Sie widerlegen damit das Bild, das verblendete Irrläufer abgeben, indem Sie gegen Flüchtlinge hetzen und das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit auf das Schändlichste für die niederträchtige Verbreitung ihres menschenverachtenden Gedankenguts missbrauchen, indem sie Menschen attackieren und Unterkünfte angreifen. Sie alle müssen die volle Härte unseres Rechtsstaates spüren und das heißt v.a. null Toleranz.

Alle Flüchtlinge sowie alle Opfer unserer Zeit erinnern uns daran, in welch glücklicher Lage wir uns befinden dahingehend, dass wir in unserem Land in Frieden und Freiheit, Sicherheit und Wohlstand leben dürfen, vor allem in Frieden und damit frei von Krieg, Terror- und Gewaltherrschaft. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern beruht auch auf den Erfahrungen aus unserer Vergangenheit, aus der wir die Lehren gezogen haben und der wir uns auch mit unserem jährlichen Gedenken stellen, das uns immer Mahnung und Auftrag ist, Frieden zu halten und die für uns unverzichtbaren Werte zu verteidigen.

Und wenngleich sich dieses Gedenken mehr und mehr in kleiner Runde vollzieht und vielen vielleicht nicht mehr zeitgemäß erscheint, bleibt es nicht nur in den Zeiten von Krieg, Flucht und Vertreibung für alle Zukunft unverzichtbar. Warum?

Weil wir hierzu all denjenigen gegenüber verpflichtet sind, die v. a. in den beiden von unserem Land ausgehenden verheerenden Weltkriegen ihr Leben verloren haben, und deren Familien bis heute die Narben dieser Zeiten davon tragen und an den Folgen leiden, insbesondere, wenn sie einen oder mehrere liebe Menschen oder ihre Heimat verloren haben. Weil wir hierzu gegenüber der heutigen und allen nachfolgenden Generationen in der Verantwortung stehen, sie regelmäßig für das kostbarste Gut des Zusammenlebens - Frieden zu halten - zu sensibilisieren.

Weil wir immer wieder feststellen müssen: Ein Ausbruch aus der Routine des friedfertigen Miteinanders ist jederzeit möglich, weswegen wir alle zur besonderen und stetigen Wachsamkeit für das Geschehen um uns herum aufgerufen bleiben.

Und weil eben nach vor der Satz gilt: „Geschichte wiederholt sich nicht. Wohl aber wiederholen sich menschliche Verhaltensweisen - im Guten wie im Bösen.“

Verehrte Anwesende,

unser Gedenken fordert uns auf, Frieden zu halten und uns immer wieder neu für Frieden und Versöhnung einzusetzen, so wie wir es alljährlich mit unserem Gedenken vorleben. Dazu gehört auch, wie wir miteinander und untereinander umgehen. Und dazu gehört auch, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte nicht mit Gewalt auszutragen und falls erforderlich, sich gegenseitig Hilfe zu leisten und Solidarität zu üben.

Solidarisch zeigen in unserem Gedenken wollen wir uns auch mit unseren französischen Freunden und heute zum heutigen Jahrestag der Anschläge in Paris und St. Denis vom 13. November 2015 der Opfer gedenken und damit an die 130 Ermordeten und 413 Verletzten erinnern, die Opfer des islamistischen Terrors, einer Geisel unserer Zeit, geworden sind.

Wir haben uns an diesem Ort des Gebets und der Stille, der Erinnerung und Mahnung zusammengefunden, um vor allem inne zu halten im Gedenken an die nach allgemeinen Schätzungen über 70 Millionen Opfer der beiden Weltkriege, die in Gestalt von Kriegerdenkmälern und Soldatenfriedhöfen uns überall auf der Welt gegenwärtig bleiben. Diese wollen wir mit unserem Gedenken ins Leben zurückholen und uns vor ihnen verneigen, insbesondere vor den Kriegsopfern aus unserer Stadt.

Unser individuelles Gedenken ist ebenfalls Teil aktiver Friedensarbeit. Und möge einmünden in das traditionelle Totengedenken, das ich nun gemeinsam mit Ihnen halten und für uns alle sprechen darf:

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Ausland ihr Leben verloren haben.

Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

Wir trauern mit allen, die Leid tragen, um die Toten und teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.

Mit dem Kranz, den wir heute stellvertretend für die Bürgerschaft unserer Stadt niederlegen, verleihen wir unserem Gedenken sowie unserer Mahnung und Aufforderung an uns und folgende Generationen, Frieden zu halten auch nach außen hin ein sichtbares Zeichen.

Wir setzen ein Zeichen gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gegen jegliche Form von Extremismus, gegen Terror, Gewalt und Krieg, gegen Verfolgung und Vertreibung, für ein Leben in Frieden und Freiheit, in Demokratie und Sicherheit, für Toleranz und Achtung der Menschenwürde, für Respekt und Weltoffenheit.

Zum Ende unserer Feierstunde danke ich Ihnen allen für Ihr Kommen und die würdige Mitgestaltung unserer Feierstunde.

Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg, einen angenehmen Sonntag und uns sowie allen nachfolgenden Generationen eine vor allem gesunde und stets friedvolle Zeit. In diesem Sinne beschließe ich unser Gedenken mit der an uns alle gerichteten Aufforderung von Bundepräsident Theodor Heuss: „Sorgt ihr, die ihr noch im Leben steht, dass Frieden bleibe, Frieden zwischen den Menschen, Friede zwischen den Völkern.“

Kontakt

Stephan Noll
Erster Bürgermeister
Hanauer Straße 1
63755 Alzenau

Telefon06023 502-101
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